Schüler befragen Frank Sieren

Eine Stunde mit Frank Sieren
 
Minden. Der Pausengong im Ratsgymnasium ertönt um 11:30 Uhr. Die Leitung steht. Alle Augen richten sich auf den Bildschirm. Der Journalist und China-Experte Frank Sieren ist zugeschaltet. Eine Stunde lang wird er sich mit Schülern und Schülerinnen online über China austauschen. 
Wie es dazu kam? Letztes Jahr im November war Herr Sieren zu Gast auf dem Mindener Werteforum und referierte zum Thema „Zukunft? China! – Wie die neue Supermacht unser Leben, unsere Politik und unsere Wirtschaft verändert.“ Nach dem Vortrag darauf angesprochen, ob er für Jugendliche, die 2024 am Schüleraustausch nach China teilnehmen, einen Vortrag halten würde, sagte er spontan zu. Frank Sieren ist ein bekannter Journalist und anerkannter Chinakenner, der mehrere Bücher geschrieben hat und seit ca. 30 Jahren in China lebt.
 
Der Schüleraustausch, der dieses Jahr bereits zum 5. Mal vom Trägerverein Partnerschaft Minden-Changzhou organisiert wird, ist offen für alle weiterführenden Schulen in Minden. Dieses Jahr beteiligt sich zudem das Wesergymnasium in Vlotho. Die Planung und  Vorbereitung der Jugendlichen lag dieses Jahr ganz wesentlich beim Ratsgymnasium. Frau Wen-Na Heitkamp, eine gebürtige Chinesin, ist letztes Schuljahr nach Minden gezogen. Dass sie schon an ihrer früheren Schule in Hamburg den Schüleraustausch nach Shanghai organisiert hatte, erwies sie sich als wertvolle Unterstützung des Austauschs mit der Partnerstadt Changzhou. Zudem leitet sie seit Anfang des Schuljahres 2024/2025 eine Chinesisch AG. Den am Schüleraustausch Teilnehmenden, aber auch anderen interessierten Schülern und Schülerinnen bringt  Frau Heitkamp einmal wöchentlich Wissenswertes über die chinesische Geschichte, Kultur, Sprache, Schrift und Gesellschaft bei. 
 
Für die 1Teilnehmer und Teilnehmerinnen sowie die drei Begleitpersonen, die in den Herbstferien nach China reisen,  war die virtuelle Begegnung mit Frank Sieren von besonderer Bedeutung. Für sie war es wohl das erste Mal, dass sie derart umfassend über die lange Geschichte Chinas und und die Bedeutung  dieses Landes im Weltgeschehen hörten .  
Nach einer Begrüßung durch Frau Heitkamp und Frau Kurth vom Trägerverein  referierte Frank Sieren  über die bewegte ältere und jüngere Geschichte des „Reiches der Mitte“, das über die Jahrtaussende eine Weltmacht war.  Er beschrieb den Wandel des Selbstbildnisses des Landes und die Sicht der übrigen Welt auf die Chinesen durch die Jahrhunderte.  „ Heute ist China kein aufsteigendes Land, es ist ein wieder aufsteigendes Land“ , so das Fazit von Frank Sieren. Das politische System sei weder schwarz noch weißweder gut noch böse.  So herrsche zwar keine MedienfreiheitInformationen aus aller Welt könnten  jedoch über einen VPN-Kanal  bezogen werden. Hier drücke die Politik ein Auge zu und sanktioniere das in der Regel nicht.  Die Kameras an allen Orten  würden von der Bevölkerung ambivalent angesehen: einerseits seien die Strassen absolut sicher, auch nachts. Andererseits sei jeder unter ständiger Kontrolle. Dies waren nur einige der von ihm herangezogenen Beispiele. Er gab den Schülern mit auf den Weg: „Geht ohne Vorurteile hin. Seht euch das Land und die Gesellschaft an. Versucht, das Land auch mit chinesischen Augen zu sehen.“. 
Im Anschluss konnten die Schülerinnen und Schüler ihre Fragen an Frank Sieren richten. Es waren teils persönliche Fragen (Warum sind Sie nach China gegangen? War es schwieirg, die chinesische Sprache zu erlernen? ) als auch Fragen zu Unterschieden, zum Arbeits- und Schulalltag und dem politischen System. Große Unterschiede zwischen Deutschland und China sieht Frank Sieren im Schulsystem. Die chinesischen Kinder und Jugendlichen müssten viel mehr in viel kürzerer Zeit als die Deutschen lernen. Der Leistungsdruck sei enorm. Am Ende der Schulzeit stehe die landesweite Abschlussprüfung, die es gelte möglichst gut zu bestehen, da sie den Zugang zu den Universitäten eröffne. Es gebe viele außerschulische Pflichen, es bleibe wenig Zeit zur Persönlichkeitsentfaltung. Augenfälllige Unterschiede gebe es z.B. auch in der Pünklichkeit der Bahn, der Kanalisierung und dem Umgang der Gesellschaft mit großen Menschenmassen sowie der Sicherheit im Strassenverkehr. „Ich könnte zum Beispiel auf einem Motorrad mit verbunden Augen über eine belebte Kreuzung fahren, es würde mir nichts passieren. Jeder nimmt auf jeden anderen Rücksicht“ verdeutlicht er seine Aussage. Trotz aller Probleme blickten die Chinesen voller Zuversicht in die Zukunft. Im Volk herrsche so etwas wie eine Aufbruchstimmung.
Zu guter Letzt bedauerte der Journalist die wenig ausgeprägte Chinakompetenz in Deutschland. Als Schulfach sei Chinesisch rückläufig. Das müsse sich ändern, da Deutschland nach vorne schauen müsse. An China komme man nicht vorbei . Nur zusammen mit China könnten große Lösungen für die heutigen Probleme (z.B. Klimawandel) gefunden werden. Die Stimmung und die Zusammenarbeit könne nur durch internationale Kontakte im jeweiligen Land verbessert werden. Der Schüleraustausch sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Vielleicht sehen wir uns in Peking auf einen Kaffee und ihr berichtet mir über eure Eindrücke am Ende der Reise“, schloss Frank Sieren das informative Online-Meeting.